Stehr, Hermann: Auf Leben und Tod. 1898 by Hermann Stehr

Stehr, Hermann: Auf Leben und Tod. 1898 by Hermann Stehr

Autor:Hermann Stehr [Stehr, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Novellen
Herausgeber: S.Fischer Verlag, Berlin
veröffentlicht: 2011-02-08T23:00:00+00:00


VIII.

Die Sonne stand schon ziemlich hoch.

Eine Nebelkrähe auf dem Baume, unter welchem der Graveur lag, ließ ihren langgedehnten, schnarrenden Schrei ertönen, dann gluckte sie ein paarmal heiser und spreizte den Schwanz dazu.

Der Schläfer schrak auf, wischte sich die Augen und richtete sich langsam zur Höh.

‚Eine Krähe, hm, hm!‘

Er war vor Kälte fast starr.

Kalt, kalt! schauerte er zusammen. Dann stand er auf und schaute umher. Ein dunkles Gefühl der Ueberraschung, sich im Walde zu finden, wurde in ihm rege.

Mit schlaffen Schritten ging er quer durch den Wald. Da überfiel ihn wie aus dem Hinterhalte plötzlich der Gedanke:

Wenn “er” — der Bruder natürlich — mich hier trifft! Keinen Stock, keinen Stein, der Weg weit ab, nirgends Menschen! — Vorsichtig, ängstlich spähte er durch die Bäume. Er stand still und lauschte. Nichts regte sich. Leise schlich er bis zum nächsten Haselstrauche und brach sich einen Knüttel. — So! —

Sicher ging es nun bergab. Den ersten Weg, auf den er traf, ging er entlang. Aufmerksam lugt er nach rechts und links; wenn es knisterte, stand er still und faßte den Knüttel fester. Sonst war er gedankenleer.

. . . . . . . Da rauschte, rollte und sang es. Er stand vor der Mauer des Kirchhofs von Schlegel. Man bestattete einen Toten; ein Grablied erklang.

“Ein Begräbnis . . . . . viel Leute?” . . . . Er guckte über die Kirchhofmauer . . . . , ‚verdammt‘ — . . . und kauerte sich schnell wieder nieder.

“Auf der Straße kann ich nicht gehen. Da sehen mich alle. Ich muß vor Hundt vorbei, vor der Brauerei . . . . da kann er drinn sitzen und mich sehen. Ach und die anderen Leute,” brütete er weiter, “sind ja alle auf seiner Seite. Eh ich mich umseh‘, hats ihm jemand gesteckt, daß ich ihn suche und — husch! ist er verschwunden. Da heißts aufpassen!”

“Herr Schramm, was ist Ihnen denn? Ist Ihnen unwohl?” rief plötzlich über ihm eine mitleidige, weibliche Stimme. Er fuhr auf; grub aber schleunigst den Kopf wieder auf die Brust.

‚Ach, die “Wagnern!” auch so eine Schlange! Was machen?‘ er sann lange nach. Endlich kam es ihm wie eine Erleuchtung. “Ich werde mich verrückt stellen” und er sprang auf, schlug mit dem Knüttel an die Mauer und murmelte dumpf.

Die Frau hatte lange gewartet und noch einige Fragen an ihn gestellt, die er aber nicht hörte. Als sie keine Antwort erhalten, war ihr Angst geworden. Deswegen hatte sie sich schnell entfernt. Eben als er aufsprang und mit dem Knüttel die Mauer bearbeitete, sah sie sich um.

“Mein Gott, mein Gott, er ist wahnsinnig!” sprach sie schauernd zu sich und bog voll Schrecken rechts ab auf die Chaussee . . . . . . .

Schramm merkte, daß er keine Kopfbedeckung habe. “Das trifft sich ja prächtig. Wenn mich die Leute ohne Hut sehen, dann wird jeder denken: ach der ist bei dem und dem gewesen und geht jetzt nach Hause. Da hats noch Zeit, daß ichs dem August sage, der bei der Brauern sitzt, oder sonst wo. — — Aber kalt ist es doch verdammt.



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